Die Disposition des Wortschatzes für stilistische Variation
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Ausgangsfrage:
Warum bietet der Wortschatz ein so reichhaltiges Reservoir
an Stilmitteln?
Die Antwort liegt in den prinzipiellen Eigenschaften der lexikalischen Bedeutung:
(1) Unscharfe Referenz
Zwischen Formativ (dem Lautkörper, dem Bezeichnenden) und der Bedeutung (dem Denotat, dem Bezeichneten) besteht keine1:1-Zuordnung. Der Normalfall sind vielmehr Polysemie und Synonymie: Mit den anderen Sememen/Lexemen kann spielerisch umgegangen werden, sie schwingen wie Obertöne mit.
Polysemie oder Mehrdeutigkeit: Mit ein und demselben Formativ können verschiedene Dinge/Erscheinungen usw. bezeichnet werden, vgl. das sehr polyseme Lexem Raum oder Flügel als 'Körperteil eines Vogels', als 'Musikinstrument', als 'Fensterflügel'. 'Gruppierung innerhalb einer Partei' usw.
Synonymie oder Bedeutungsähnlichkeit: Verschiedene Lexeme bedeuten oder bezeichnen annähernd das selbe; vgl. etwa Junge/Bube, geschehen/passieren, historisch/geschichtlich oder Stress/Anspannung.
(2) Vagheit der Bedeutung
Die Bedeutung von natürlichsprachlichen Lexemen ist prinzipiell vage (unpräzise): Nur einige wenige Merkmale des Bezeichneten werden abstrahiert und für die Bezeichnung als relevant empfunden.
So ist es beispielsweise äußerst schwierig, die Bedeutung so einfacher Wörter wie Tisch oder Vogel ganz genau zu definieren oder exakt festzulegen, wo die "Grenze" zwischen einem Stuhl und einem Sessel verläuft.
Wortbedeutungen können neben dem denotativen Kern (dem sachlich Bezeichneten) auch konnotative Bedeutungskomponenten enthalten: Vorstellungskomponenten (mit dem Lexem assoziierte geistige Bilder), evaluative Komponenten (Bewertungen) u. A.
Als Beispiel vgl. reden vs. schwatzen o. quasseln o. quatschen; als Bezeichnung für den menschlichen Kopf auch Haupt – Birne – Rübe – Schädel.
Typische Beispiele für positive, witzige oder verächtlich-pejorative Konnotationen enthalten auch die vielen euphemistischen Ausrücke (verhüllenden Umschreibungen) für das Sterben:
[gehoben/pathetisch:] dahinscheiden, das Zeitliche segnen, für immer die Augen schließen, (von dieser Welt) abberufen/heimgerufen werden, heimkehren (ins Reich Gottes), ...;
[salopp/umgangssprachlich]: den Löffel abgeben, über den Jordan gehen, ins Gras beißen, über die Klinge springen, künftig die Radieschen von unten betrachten, ...
[derb:] abkratzen, verrecken, ...
(4) Schichtung des Wortschatzes
Darüber hinaus sind Lexeme oft auch markiert im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Schichten des Wortschatzes: Die Wortschatzstruktur bietet einen weiteren Grund für das reiche Repertoire an lexiklaischen Stilmitteln.
Es geht dabei um Konnotationen in Bezug auf die Herkunft, das Alter, die Gebrauchspräferenzen und -restriktionen (also die bevorzugte Verwendung oder aber Vermeidung in bestimmten Kommunikationsbereichen/Textsorten/sozialen Gruppen/Berufen u. Ä. Dies ist an sich schon ein Stilwert. Ein Verstoß gegen solchen Gebrauchspräferenzen und -restriktionen wirkt stilistisch aber noch auffälliger!
Beispiele für solche Konnotationen bietet der Überblick über die Struktur des Wortschatzes (unter stilistischem Aspekt).