Seppo
Hentilä
Buchpräsentation „Neutral zwischen
den beiden deutschen Staaten. Finnland und Deutschland im Kalten Krieg“, Berlin,
den 5.12.2006 um 18 Uhr im Finnland-Insititut in
Deutschland
Keine
andere internationale Streitfrage zog Finnland im Kalten Krieg so unerbittlich
zwischen die Blöcke wie die Deutschlandfrage. Das lag daran, dass der im April
1948 geschlossene Beistandspakt zwischen Finnland und der Sowjetunion von einer
militärischen Bedrohung durch Deutschland ausging. Es blieb Finnland als
einzigem Staat auf der Welt mehr als zwanzig Jahre, bis 1973 verwehrt, seine
Beziehungen zu den beiden deutschen Staaten zu normalisieren. Im Gegensatz zu
den westlichen und neutralen Staaten Europas hatte Finnland nicht die
Möglichkeit, nur mit der Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen
anzuknüpfen; dem stand der Beistandspakt im Wege. Die Anerkennung beider
deutscher Staaten wäre im Rahmen dieses Pakts möglich gewesen – zumindest ab
1955, als die Sowjetunion diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik
aufnahm. Auf grund der sogenannten Hallstein-Doktrin, verkündet im Dezember
1955, erlaubte die Bundesrepublik jedoch keinem anderen Land, es der Sowjetunion
gleichzutun, sondern achtete genauestens darauf, dass die DDR nicht anerkannt
wurde.
Ich könnte
natürlich Ihnen vieles über den Forschungsprozess und über die Quellenlage
erzählen, aber davon erspare ich Sie. Stattdessen habe ich mir gedacht, es
könnte spannend sein, unmittelbar zum Text einzutauchen. Zu diesem Zweck habe
ich fünf Episoden der deutsch-finnischen Beziehungen aus den Jahren 1955–1973
gewählt, in die ich näher eingehen möchte. Ich bin ziemlich sicher, dass diese
Episoden die bestmögliche Einleitung zu den Hauptthemen meines neuen Buchs
anbieten können.
Erste
Episode
Ende
September 1955 ging ein hartnäckiges Gerücht durch die westdeutsche Presse,
demzufolge die finnische Regierung beabsichtigte, in nächster Zukunft die DDR
anzuerkennen. Wie sagt man; kein Rauch ohne Feuer. Den Hintergrund der
Spekulationen bildeten die Verhandlungen mit der obersten Sowjetführung, die
Präsident Juho Kusti Paasikivi und Ministerpräsident Urho Kekkonen im September
Präsident
Paasikivi saß bei dem erwähnten Dinner im Kreml auf dem Ehrenplatz zwischen dem
Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, K. J. Woroschilow, und
Ministerpräsident N. A. Bulganin. Seinem Tagebuch zufolge erinnerte sich der
Präsident nicht, worüber an dem Abend gesprochen wurde, wusste aber noch, dass
er zum Schluss einen Toast auf die „ewige Freundschaft zwischen Finnland und der
Sowjetunion” ausgebracht hatte. Paasikivi wollte sich in seinem Tagebuch daran
nicht erinnern, dass er bei dem Dinner auch den Vertretern der DDR-Regierung,
Walter Ulbricht und Otto Grotewohl begegnet war.
Die
viertägigen Verhandlungen zwischen der obersten finnischen und sowjetischen
Staatsführung waren erfolgreich beendet, am nächsten Tag stand die Heimreise auf
dem Programm. Auch die Mitbringsel waren bereits eingepackt, und es handelte
sich keineswegs um billige Souvenirs, wie die üblichen Matroschkas oder
Wodkaflaschen. Vielmehr hatte die Sowjetunion 40 Jahre vor Ablauf des
Pachtvertrags den Flottenstützpunkt Porkkala an Finnland zurückgegeben; der
Preis, die Verlängerung des finnisch-sowjetischen Beistandpaktes um 20 Jahre,
schien dafür nicht zu hoch. Darüber hinaus gab die Sowjetunion grünes Licht für
die Mitgliedschaft Finnlands im Nordischen Rat. In der Frage des an die
Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg abgetretenen karelischen Gebiets war man
zwar keinen Fußbreit vorangekommen, doch Außenminister W. M. Molotow, der mitten
in den Verhandlungen zur Plenarversammlung der UNo nach New York abgereist war,
hatte immerhin versprochen, sich für die Aufnahme Finnlands in die
Weltorganisation einzusetzen.
Irgendwann
im Laufe des Abends stellte Chruschtschow Kekkonen „beiläufig” eine Frage, die
sinngemäß etwa folgendermaßen lautete: „Da nun auch die DDR ein souveräner Staat
ist, warum sollte Finnland sie nicht anerkennen?” Den sowjetischen Quellen
zufolge versprach Kekkonen Ulbricht und Grotewohl, Finnland werde innerhalb der
nächsten zwei Wochen eine Entscheidung treffen. Dem Historiker Kimmo Rentola
zufolge hatte Kekkonen offenbar ohne Paasikivis Wissen mit Chruschtschow über
die Anerkennung der DDR gesprochen, als Gegenleistung dafür, dass die
Sowjetunion sich nicht länger gegen den Beitritt Finnlands zum Nordischen Rat
sperren würde. Kekkonen sah kein Hindernis für die gleichzeitige Anerkennung der
beiden deutschen Staaten, nachdem auch die Sowjetunion auf diese Weise verfahren
war. Das Problem der Beziehungen Finnlands sowohl zu Skandinavien wie auch zum
geteilten Deutschland schien sich mit einem Schlag lösen zu
lassen.
Der
Generalkonsul der Bundesrepublik in Helsinki, R. F. Koenning, hatte erfahren,
was in Moskau besprochen worden war. Ein Mitglied der finnischen
Regierungsdelegation hatte ihm vertraulich berichtet, die Maßnahmen zur
Anerkennung der DDR seien in Vorbereitung. Über diese Information war der
Generalkonsul sehr beunruhigt. Er bat das AA um sofortige Anweisungen, damit er
im Ernstfall richtig zu handeln wisse. Die Antwort aus Bonn kam umgehend. Die
Bundesregierung ging davon aus, dass für sie nur die Beibehaltung des
gegenwärtigen Zustandes der Beziehungen zu Finnland annehmbar sei. Wenn Finnland
tatsächlich mit der „Pankower” Regierung Botschafter austauschte, würde dies die
Teilung Deutschlands bestätigen und die Chance auf eine Wiedervereinigung
verringern. Ein solches Vorgehen würde dem Alleinvertretungsanspruch der
Bundesregierung zuwiderlaufen. Eine Anerkennung würde die Position der
ostdeutschen Regierung stärken und Finnland zu einem gefährlichen Präzedenzfall
machen. Die Bundesrepublik würde diesen Schritt als unfreundlichen Akt
betrachten. Des weiteren sollte Koenning betonen, dass Finnland der erste Staat
der freien Welt wäre, der die „sog. DDR“ anerkannte, und dass dies der ganzen
Welt zeigen würde, wie stark die Abhängigkeit Finnlands von der Sowjetunion
war.
Später im
selben Jahr, genauer gesagt am 8. Dezember 1955, verkündete die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland offiziell die oben bereits formulierte sog.
Hallstein-Doktrin, derzufolge die Bundesregierung die Anerkennung der DDR als
unfreundlichen Akt betrachtete und jedem Land, das Ostdeutschland als Staat
anerkannte, mit harten Konsequenzen drohte.
War
Finnland im Herbst 1955 sogar das erste Opfer der Hallstein-Doktrin? Natürlich
wurde diese Lehre in Bonn nicht speziell für den Fall Finnland erdacht. Sie war
von Anfang an ein ungeschriebenes Element der bundesdeutschen Außenpolitik
gewesen, nur hatte man sie zuvor nicht so deutlich formuliert. Dies war nicht
notwendig gewesen, da kein einziges aus der Sicht der Bundesrepublik wichtiges
demokratisches Land die Anerkennung der DDR angestrebt
hatte.
Finnland
hätte das Versprechen, das Kekkonen Grotewohl im Kreml gegeben hatte, sicherlich
eingelöst und beide deutsche Staaten anerkannt, wenn Bonn diesen Akt nicht im
voraus so scharf verurteilt hätte. Insofern könnte man Finnland sogar als erstes
Opfer der Hallstein-Doktrin ansehen. Für diese Interpretation spricht auch, dass
1955 außer Finnland unter den nichtkommunistischen Staaten kein
anerkennungswilliges Land in Sicht war. Beispielsweise hatten die neutralen
Staaten Schweden und die Schweiz oder das soeben in den gleichen Status
getretene Österreich keine Absichten, die DDR
anzuerkennen.
Zweite
Episode
In seinem
Gespräch unter vier Augen mit Generalsekretär Leonid Breschnew stellte Präsident
Kekkonen am 23. Juni
Über seine
Gespräche mit Breschnew verfasste Kekkonen ein umfangreiches handschriftliches
Memorandum, das er als geheim klassifizierte und nur zum eigenen Gebrauch
archivierte. Der Kern des Ganzen geht aus der Überschrift des Memorandums
hervor: „DDR > Wiburg”. Die Anerkennung der DDR bildete darin nur ein Glied,
wenn auch das wichtigste. Kekkonen bot sie als Gegenleistung an, wenn die
Sowjetunion die Stadt Wiburg und Umgebung an Finnland zurückgäbe. Im Rahmen
dieses Tauschhandels könne Finnland ferner einen Teil Lapplands an die
Sowjetunion abtreten, wodurch die Grenze zwischen der Sowjetunion und Norwegen
erheblich länger würde.
Nach
Abschluss der offiziellen Gespräche bat Breschnew Kekkonen um einen kurzen
Meinungsaustausch unter vier Augen. Nachdem Kossygin und Podgornyi den Raum
verlassen hatten, erläuterte Kekkonen sein „großes Programm”. Er erklärte, die
einseitige Anerkennung der DDR sei ein radikaler Akt, der Finnland innere und
äußere Komplikationen bringen würde. Westdeutschland würde Druck ausüben,
Norwegen protestieren, und die finnische Bevölkerung würde sich möglicherweise
in zwei Lager spalten. Deshalb müsse das Parlament aufgelöst und neu gewählt
werden. Andererseits könne Finnland die Dienstzeit seiner Wehrdienstleistenden
verkürzen, wenn die Sowjetunion sich von der Karelischen Landenge zurückziehe
und die finnische Neutralität garantiere. Kekkonen betonte, alle Einzelmaßnahmen
müssten als Teil eines Gesamtprogramms durchgeführt werden, denn nur so könnten
in Finnland die politischen Voraussetzungen für eine Veränderung geschaffen
werden.
Der
offensichtlich überraschte Breschnew wies Kekkonens Vorschlag praktisch auf
Anhieb zurück und erklärte, in der gegenwärtigen Situation sei an
Grenzverschiebungen in Europa nicht zu denken. Westdeutschland, Polen und die
Tschechoslowakei würden sofort ähnliche Forderungen erheben. Zudem sehe er
keinerlei Zusammenhang zwischen der Anerkennung der DDR und dem vorgeschlagenen
Gebietstausch. Stattdessen bot Breschnew einen Handel mit deutlich kleinerem
Einsatz an: Finnland solle seine Wirtschaftsziehungen mit der DDR erweitern und
seine Armee verkleinern, woraufhin die Sowjetunion entsprechend ihre an der
finnischen Grenze stationierten Truppen zurückziehen würde. Zusätzlich könne ein
internationales Abkommen zur Sicherung der Unabhängigkeit und Neutralität
Finnlands geschlossen werden. Zu diesem Gegenvorschlag Breschnews äußerte sich
Kekkonen nicht; das Projekt „DDR > Wiburg” wurde nie mehr
aufgegriffen.
Der
damalige Ministerpräsident Mauno Koivisto, der nichts von Kekkonens
Geheimgesprächen gewusst hatte – Koivisto hat darüber erst
Dritte
Episode
Am 10.
September 1971 übergab die finnische Regierung den Regierungen der beiden
deutschen Staaten eine gleichlautende Note, die bald in der Umgangssprache als
Kekkonens „Deutschlandpaket“ genannt wurde. Das Paket bestand aus vier
Elementen:
1. Aufnahme
diplomatischer Beziehungen;
2.
Austausch von Gewaltverzichtserklärungen;
3. Regelung
noch offener juristischer und wirtschaftlicher Fragen, die sich aus den durch
deutsche Truppen verursachten Zerstörungen in Finnland in den Jahren 1944–1945
und aus dem Kriegszustand zwischen beiden Staaten ergeben;
4.
Vertragliche Anerkennung der Neutralität Finnlands durch beide deutsche
Staaten
Unter den
einzelnen Elementen des Deutschlandpakets schien der Vorschlag über die Regelung
noch offener juristischer und wirtschaftlicher Fragen, die sich aus den durch
deutsche Truppen verursachten Zerstörungen in Finnland in den Jahren 1944–1945
und aus dem Kriegszustand zwischen beiden Staaten ergaben, die Westdeutschen
ganz besonders zu verärgern. Nicht nur in Bonn, sondern auch in der DDR, in
Finnland und überall sonst wurde dieser Vorschlag als an beide deutsche Staaten
gerichtete Forderung Finnlands nach Entschädigung für die Zerstörungen im
Lapplandkrieg aufgefasst. In einem Interview, das er der Stockholmer „Dagens Nyheter“ Monate später gab,
versuchte Präsident Kekkonen das Missverständnis zu berichtigen. Er erklärte,
Finnland habe keineswegs Reparationsforderungen gestellt, sondern auf die
Klärung der von deutschen Truppen verursachten Schäden und anderer noch offener
wirtschaftlicher und juristischer Fragen gedrängt. Beinahe im selben Atemzug
sagte Kekkonen, er halte die beiden deutschen Staaten gleichermaßen für „Erben
des Dritten Reichs”, weshalb beiden derselbe Vorschlag gemacht worden
sei.
Mochte die
Reparationsfrage noch so heftige Emotionen auslösen, man musste sie unterdrücken
und die harten Fakten auf den Tisch legen, hieß es in der Bonner Einschätzung.
Juristisch war die Situation für die Bundesrepublik unproblematisch. Sie hatte
sich dem
Generalkonsul
Detlev Scheel erinnerte in seinem Bericht nach Bonn daran, dass Deutschland
während des Zweiten Weltkriegs in Finnland neue Straßen, Brücken und Flugplätze
gebaut sowie Eisenbahnstrecken und Häfen instandgesetzt hatte. Der Wert dieser
Arbeiten sei vermutlich um ein Vielfaches höher als die Zerstörungen in
Lappland. In diplomatischen Kreisen erzählte man sich, in Bonn habe ein Beamter
der älteren Generation, als er von der Forderung der Finnen hörte, ausgerufen:
„Dann schicken wir ihnen eine Rechnung über alle Lieferungen an Kriegsmaterial
und Lebensmitteln, die im Zweiten Weltkrieg gratis nach Finnland gegangen sind.”
Ein westdeutscher Journalist erzählte dem finnischen Generalkonsul Yrjö
Väänänen, er wisse, dass das AA berechnen ließ, wieviel die Finnen Deutschland
für Waffen- und Lebensmittellieferungen im Krieg schuldig geblieben
sei.
Derartige
Berechnungen wurden auch privat angestellt. Dr. Ernst Heinrich, der Präsident
der Deutsch-Finnischen Gesellschaft (DFG), berichtete Scheel bei einem Besuch in
Helsinki im Februar 1972, er kenne drei Bundeswehrgeneräle, die während des
Krieges als Wehrmachtsoffiziere in Finnland gedient hätten. Sie könnten
gegebenenfalls genauere Angaben darüber machen, was alles die Deutschen den
Finnen ohne Entschädigung ausgehändigt und gebaut hatten. Scheel selbst sagte,
er habe aus den Memoiren Wipert von Blüchers, der während des Krieges als
deutscher Gesandter in Finnland tätig war, den Eindruck gewonnen, dass man die
finnischen Waffenbrüder großzügig mit Lebensmitteln und Kriegsmaterial versorgt
und nie eine Rechnung geschickt hatte.
Im April
1972 übergab einer der von Heinrich erwähnten Generäle, Wilhelm Hess, eine
detaillierte Aufstellung der deutschen Investitionen in Finnland während des
Zweiten Weltkriegs. Er berichtete, die Deutschen hätten nicht nur Straßen und
Brücken gebaut, sondern beispielsweise auch fast alle Häfen am Bottnischen
Meerbusen einschließlich der Speditionsanlagen gründlich saniert. Das AA dankte
dem General, unternahm jedoch keine weiteren Schritte.
Vierte
Episode
Im November
1972, anderthalb Wochen nach dem Beginn der Verhandlungen zwischen Finnland und
der Bundesrepublik über die einzelnen Punkte des finnischen Deutschlandpakets
tat Finnland das, was die Gegenseite am allerwenigsten gewünscht hätte, indem es
am 19.11. erklärte, beide deutschen Staaten anzuerkennen. Damit verschlechterte
sich das Gesprächsklima weiterhin. In der Sitzung am 21.11. stellte
Generalkonsul Detlev Scheel fest, seit der letzten Zusammenkunft habe sich die
Situation radikal verändert. Er frage sich immer noch, warum Finnland solche
Eile an den Tag gelegt habe, obwohl die Verhandlungen noch ganz in den Anfängen
steckten. Alles in allem befinde er sich in einer merkwürdigen Situation: Er
habe keine neuen Anweisungen, wisse aber auch nicht, ob die alten noch gültig
seien.
Einige
Anweisungen hatte Scheel in jenen Tagen jedoch von seinem Ministerium in Bonn
erhalten. Kurz bevor die KSZE-Vorbereitungen am 22.11. im Kongresszentrum Dipoli
in Espoo beginnen sollten, wurde er beim finnischen Außenministerium vorstellig.
Unter Berufung auf Anweisungen von oben forderte er, die Sitzordnung der Staaten
sei unbedingt abzuändern, damit die beiden deutschen Staaten im Sitzungssaal
nebeneinander ihren Platz hatten. Wenn sich die Sitzordnung an den
englischsprachigen Namensschildern F.R.G. und G.D.R. orientieren würde,
entstünde nämlich der Eindruck, dass es sich um zwei verschiedene Staaten
handelte. Um einen Eklat zu vermeiden, wurden die französischen Staatsnamen zur
Grundlage der Sitzordnung gemacht. Somit saßen die Delegationen beider
Deutschlands Seite an Seite, als wären sie Vertreter eines einzigen Staats.
Darüber hinaus war es der Bundesrepublik wichtig, im Alphabet vor der DDR zu
stehen. Auch für dieses Problem fand sich eine Lösung. Im französischen Namen
der Bundesrepublik Deutschland, République Fédérale d’Allemagne, steht für
„Deutschland” das Substantiv Allemagne, im französischen Namen der DDR,
République Démocratique Allemande, dagegen das Adjektiv Allemande.
Entscheidend für die Reihenfolge der beiden deutschen Staaten im Alphabet der
KSZE-Teilnehmer wurde also der drittletzte Buchstabe: g steht im Alphabet
vor n.
Die für die
erste Vorbereitungskonferenz gefundene Lösung wurde bis zum Schluss beibehalten.
Die KSZE-Schlussakte unterzeichnete daher am 1. August
Fünfte
Episode
Wie
Außenminister Ahti Karjalainen in seiner Presseerklärung zur Eröffnung der
diplomatischen Beziehungen, einerseits zwischen Finnland und der Bundesrepublik
Deutschland und andererseits zwischen Finnland und der DDR am 7.1.1973
erläuterte, wollte die finnische Regierung die Verhandlungen über die noch offen
gebliebenen Fragen mit beiden deutschen Staaten möglichst bald fortsetzen. Im
Zusammenhang mit der Außenministerkonferenz zur Vorbereitung des
KSZE-Gipfeltreffens, die im Juni 1973 im Kongresszentrum Dipoli in Espoo
stattfand, schlug Karjalainen seinen beiden deutschen Kollegen die Fortsetzung
der Verhandlungen vor. Außenminister Otto Winzer stimmte grundsätzlich zu, doch
der Zeitrahmen blieb offen. Außenminister Walter Scheel erklärte ebenfalls,
seine Regierung sei bereit zu Gesprächen über die noch offenen Fragen, und
überreichte Karjalainen zugleich eine Einladung nach Bonn.
Ende
Oktober 1973 wurden die Verhandlungen zwischen Finnland und der Bundesrepublik
fortgesetzt. Für diese Verhandlungen interessierte sich auch der Nachbar im
Osten, und zwar speziell wegen des Wortlauts des Neutralitätsartikels. M. G.
Kotow, Kekkonens langjähriger KGB-Kontakt, wandte sich an den Präsidenten und
informierte ihn im Vertrauen über den Standpunkt der Sowjetunion. Er brachte die
Besorgnis seiner Regierung darüber zum Ausdruck, dass Westdeutschland offenbar
die Neutralität Finnlands durch ein „Sonderabkommen” anerkennen wolle. Finnland
müsse in den Verhandlungen seine gutnachbarlichen Beziehungen mit der
Sowjetunion genauestens berücksichtigen und bestehende Verträge mit ihr
respektieren. Bei Abkommen mit Drittländern dürfe Finnland keine Formulierungen
akzeptieren, die im Widerspruch zum Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit
und gegenseitigen Beistand von 1948 standen, betonte Kotow. Seiner Ansicht nach
musste die Formulierung, die Finnland beim Abschluss des Staatsvertrags mit der
DDR bereits gutgeheißen hatte, auch für die Bundesrepublik Deutschland
akzeptabel sein.
Botschafter
Paul Gustafsson, der die Verhandlungen mit den Vertretern der Bundesrepublik
führte, berichtet in seinen Memoiren, dass die Gegenseite bereit war, jede von
Finnland gewünschte Definition der Neutralitätspolitik zu akzeptieren.
Gustafsson hatte die unangenehme Pflicht, die „Freigebigkeit” abzulehnen, die
der Leiter der westdeutschen Delegation, Günther van Well, in dieser Hinsicht
zeigte.
Kotows
Intervention blieb nicht ohne Folgen. Als Ministerpräsident Kalevi Sorsa einige
Wochen später, im Dezember 1973, seinen Kollegen Willy Brandt an dessen 60.
Geburtstag besuchte, brachte er die Sache zur Sprache und erklärte, der noch
offene Neutralitätsartikel müsse so formuliert werden, dass er inhaltlich mit
dem entsprechenden Artikel im Staatsvertrag zwischen Finnland und der DDR
übereinstimme. Auf dieser Grundlage einigten sich Finnland und die
Bundesrepublik Deutschland Ende März 1974 über den Vertragstext. Der Vertrag
wurde erst am 19. September 1974 beim offiziellen Besuch von Außenminister
Karjalainen in Bonn unterzeichnet, zufällig am 30. Jahrestag des
Waffenstillstandsabkommens zwischen Finnland und der Sowjetunion. Die
offiziellen Vertreter Finnlands und der Bundesrepublik Deutschland hatten
natürlich keinen Grund, auf diesen Jahrestag anzustoßen. Die gemeinsame
Erklärung der beiden Regierungen unterzeichnete für die Bundesrepublik
Hans-Dietrich Genscher, der im Mai 1974 das Amt des Außenministers übernommen
hatte, da Walter Scheel zum Bundespräsidenten gewählt worden
war.